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Thomas Mc Rae
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Die seltsame Geschichte von
Knuddel dem Krokodil

Eine Geschichte für Claire von Thomas Mc Rae, Brisbane, Queensland, Australien
mit einigen von Thomas Mc Rae genehmigten Änderungen

für Lisa Marie aus dem Englischen übertragen von Reinhard F. Hahn, Seattle, USA, ©2008

Korrekturlesung von B. Müller-Hahn


Es begann auf meinem Heimweg in einer ganz dunklen Nacht, in der die Stra­ßen­be­leuch­tung nicht funk­tio­nier­ten. Ich ging sehr vor­sichtig, und doch – KABUMM! – stol­per­te ich über et­was, das auf der Stra­ße lag. Ich mein­te, es wäre ein gro­ßer Baum­stamm. We­gen meines Falls war ich außer Atem, schaffte es jedoch, meine Ta­schen­lampe zu fin­den und das Ding an­zu­leuch­ten, über das ich ge­fal­len war …

ES WAR EIN RIESENGROSSES KROKODIL !!!

Im Licht meiner Taschen­lampe glühten mich die Augen des Unge­heuers an und ich lief sofort davon. Ich rannte den Hügel zum Haus hinauf, aber hinter mir konnte ich ein „Schruf­fel-di-schriffel-di-flupp, schruf­fel-di-schriffel-di-flupp“ hören, mit dem mich das Biest ver­folg­te. (Das „Flupp“ war das Geräusch von seinem Schwanz, den es hinter sich her­zog.) Ich er­reich­te meine Haus­tür, aber meine Hand zit­ter­te der­ma­ßen, dass ich den Schlüs­sel nicht ins Schlüs­sel­loch be­kom­men konnte. Das Un­ding kam im­mer nä­her! Erst als es ge­ra­de an­fing, sich die Ein­gangs­stu­fen her­auf­zu­schlep­pen, schaff­te ich es, auf­zu­schlie­ßen, hin­ein­zu­ren­nen und die Tür zu schlie­ßen. Ich fiel er­schöpft auf einen Stuhl und war­te­te bis ich wieder zu Atem ge­kom­men war, ehe ich die Po­lizei an­rief.

Zeichnung eines Krokodils

Von draußen hörte ich Kratzen, dann ein lautes „Uuuuhuuuh!“ Verstohlen guckte ich aus dem Fenster, und das Krokodil weinte … Vorsichtig öffnete ich die Tür einen Spalt. „Was ist denn los?“ fragte ich das Biest, und es rollte sich auf den Rücken und streckte die Beine in die Luft. Ich fing an, mich ein bisschen tapferer zu fühlen. Ich kratz­te ihm den Bauch, und das schien ihm zu gefallen. We­nig­stens schien es nicht nach mir als Abend­es­sen zu ver­lan­gen. Abend­es­sen? Viel­leicht wollte es etwas zu fres­sen ha­ben.

Ich öffnete vier große Dosen vom Lieb­lings­fut­ter mei­ner Kat­zen und setzte mei­nem Be­su­cher ihren Inhalt vor, den er sofort ver­schlang. Er dräng­te sich an mir vor­bei ins Wohn­zim­mer, schlit­terte auf mein So­fa und schloss die Au­gen. Mei­ne zwei Kat­zen kamen herein und schie­nen nicht gerade amüsiert, dass sich jemand genau dort aus­ge­streckt hatte, wo sie selbst im­mer die Nacht ver­bringen. Ich über­ließ ihnen die­se An­ge­le­gen­heit und ging zu Bett. Doch vor­sichts­hal­ber schloss ich meine Zim­mer­tür ab, denn ich wollte im Schlaf nicht zum Nacht­mahl eines Kro­ko­dils werden.

Als ich am näch­sten Morgen nach­sah, trau­te ich mei­nen Au­gen kaum. Dort lag ein Rie­sen­kroko­dil an mei­ne Mu­schi­kätz­chen Ori und P.B. ge­kuschelt, und die drei hätt­en nicht glück­li­cher und zu­frie­dener aus­se­hen können!

Bald wachten die drei auf. Und – kannst du es glau­ben? – die Kat­zen fingen doch tat­säch­lich an, das Kro­ko­dil zu wa­schen! Ich füllte eine gro­ße Wasch­schüs­sel mit Kat­zen­fres­sen und al­le drei fra­ßen da­raus ihr Früh­stück. Anschlie­ßend gin­gen sie dann zu­rück auf das Sofa, um dort zu­sam­men zu schla­fen. Ein er­staun­li­cher An­blick! A­ber frag­te mich ernst­haft, was ich mit mei­nem selt­samen Gast an­fangen soll­te. Wo kam er ei­gent­lich her? Ich rief die Uni­ver­si­tät und den Zo­o­lo­gi­schen Gar­ten an, aber von ver­miss­ten Kro­ko­di­len war dort nichts be­kannt.

Weil der Vorrat an Kat­zen­nah­rung knapp ge­wor­den war, muss­te ich zum Su­per­markt fah­ren, um noch viel, viel, viel mehr da­von zu kau­fen. Als ich wieder zu Hause an­kam, schlie­fen meine Haus­tiere noch ganz tief und ge­müt­lich zu­sam­men ge­kuschelt. Ich schrieb meh­re­re An­zei­gen, die ich in und um Fin­tel he­rum an Mau­ern und Bäu­me kleb­te. Auf die­sen An­zei­gen stand ge­schrie­ben …

GEFUNDEN: ein sehr großes grünes Krokodil! Wie es heißt, weiß ich leider nicht. Holen Sie es bitte zwischen 16 + 17 Uhr  von Moorweg Nr. 22c in Fintel ab.

Nun wartete ich den ganzen Tag, doch nie­mand kam, um das selt­same Wesen ab zu holen, das mir nach Hause ge­folgt war. Bald war es wie­der wach und spiel­te wil­de Fang­spie­le mit mei­nen Kat­zen, rann­te im Flur hin und her, roll­te sich auf den Rü­cken, wäh­rend sie auf ihm he­rum tanz­ten. Du kannst dir si­cher vor­stel­len, wie das Haus da­bei beb­te, wie lustig das al­les aber auch aus­sah. Ich fing an zu über­le­gen, dass die­ser neu­e Zu­wachs zu mei­ner Fa­mi­lie viel­leicht doch schön für mich wä­re.

An die­sem Tag kam mei­ne Groß­nich­te Li­sa Ma­rie nach der Schu­le vor­bei, um die Kat­zen zu be­su­chen. Li­sa Ma­rie war we­gen des Kro­ko­dils völ­lig aus dem Häus­chen … „Ist es Dir wirk­lich nach Hause ge­folgt, On­kel Rein­hard? Du flun­kerst ja manch­mal so.“ Ich be­teu­er­te, dass mei­ne Ge­schich­te wahr wä­re. Spä­ter spiel­te Li­sa Ma­rie Ver­ste­cken mit dem Un­ge­tüm. Sie war es auch, die ihm sei­nen Na­men gab. „Er ist ja ei­gent­lich ein ganz knudd­liges Kerl­chen, nicht? Wir soll­ten ihn ‘Knud­del’ nen­nen.“ Und ge­nau das ta­ten wir von da an auch.

Im Lau­fe der näch­sten Ta­ge ent­pupp­te sich Knud­del als ziem­lich nütz­lich, denn so­bald sich die La­den­be­sitzer in der Nach­bar­schaft an ihn ge­wöhnt hat­ten, brauch­te ich ihn bloß mit ei­nem Korb im Maul, mit einer Ein­kaufs­liste auf den Rücken ge­klebt und mit ei­ner Geld­ta­sche um den Hals ge­bun­den zum Ein­kau­fen schicken. Er kam je­des Mal schnell mit den Din­gen zu­rück, die ich be­stellt hatte. Und das rich­ti­ge Wech­sel­geld war auch im­mer in der Geld­ta­sche. Aus ir­gend­ei­nem Grund wur­de das Geld nie­mals ge­stoh­len. Ir­gend­wie ko­misch …

Alles war gut bis zu je­nem schreck­li­chen Tag, an dem al­le Schwie­rig­kei­ten be­gan­nen. Ich saß zu Hau­se und las ru­hig und ge­müt­lich. Knud­del war ein­kau­fen ge­gan­gen, als Li­sa Ma­rie he­rein ge­rannt kam und schrie: „On­kel Rein­hard! On­kel Rein­hard! Ich ha­be ei­ne schreck­li­che Nach­richt! Die Po­li­zei hat Knud­del ver­haf­tet!“ Du kannst dir si­cher vor­stel­len, wie ei­lig ich die Stra­ße hinun­ter rann­te, um her­aus­zu­fin­den, was ge­sche­hen war.

An der Hal­te­stel­le stand ein gro­ßer Bus vom Ge­mein­de­amt, zwei Po­li­zei­au­tos, ein Kran­ken­wa­gen und ein rie­si­ger Last­wa­gen mit ei­nem Kran hin­ten drauf. Ich konn­te ge­ra­de noch be­ob­ach­ten, wie Knud­del mit dem Kran hoch­ge­zo­gen und in den Last­wa­gen ge­la­den wur­de, wäh­rend meh­re­re Po­li­zisten Wache stan­den. Ich ging zu ihnen hin. „Was ma­chen Sie denn da mit mei­nem Kro­ko­dil?“, woll­te ich wis­sen. „Ihr Kro­ko­dil?“ frag­te ein In­spek­tor, „Sie soll­ten sich schä­men, ein der­ma­ßen ge­fähr­li­ches Tier in ei­nem Wohn­ge­biet zu hal­ten. Die­ses furcht­ba­re Un­tier hat ge­rade ver­sucht, den Bus­fah­rer auf­zu­fres­sen. Ja­wohl! Er ist des­we­gen to­tal er­schüt­tert, kann ich Ih­nen sa­gen. Ihr Kro­ko hat ge­hö­ri­gen Är­ger vor sich, Kum­pel.“

Zwei Sanitäter stiegen aus dem Bus, tru­gen den Fah­rer in den Kran­ken­wa­gen und fuh­ren da­von. Das war schreck­lich. War mein freund­li­ches Haus­tier wie­der zu ei­nem wil­den Tier ge­wor­den? „Sind Sie si­cher, dass es mein Kro­ko­dil war?“ fragte ich den In­spek­tor. „Kön­nen Sie in die­ser Ge­gend et­wa ein an­de­res se­hen, Kum­pel?“, ant­wor­te­te der Po­li­zist, „Je­den­falls wa­ren fünf­zig Fahr­gäs­te in dem Bus und al­le sa­hen, was ge­schah. Es war Ihr Kro­ko­dil … Viel­leicht soll­ten wir auch Sie an­kla­gen. Na­me und An­schrift bit­te, mein Herr.“

Ich teil­te ihm die An­ga­ben mit. Ob­wohl sie schrien und mit den Ar­men fuch­tel­ten, lie­ßen sie mich letz­ten En­des ge­hen, und zwar mit der Ver­war­nung, dass ich mir zu­künf­tig mei­ne Haus­tiere bes­ser aus­su­chen sol­le. Oje, oje! Ich hatte ein wil­des Un­tier ge­hal­ten, das bei mir zu Hau­se so tat, als wä­re es lieb und nett, und ich hat­te es so­gar re­gel­mä­ßig ge­füt­tert! Wie lan­ge hät­te es wohl noch ge­dau­ert, bis es mich und die Kat­zen fraß … viel­leicht so­gar Li­sa Ma­rie?! Als die Po­li­zis­ten von al­len Fahr­gäs­ten die Aus­sa­gen auf­ge­nom­men hat­ten, stie­gen sie in ih­re Au­tos und fuh­ren davon, ge­folgt von dem gro­ßen Last­wa­gen. Al­le Fahr­gäs­te muss­ten zu Fuß ge­hen, denn die Po­lis­ten hat­ten ver­ges­sen einen an­de­ren Bus an­zu­for­dern. Die al­ber­nen Men­schen mach­ten nicht die Po­li­zei, son­dern Knud­del für ih­re Pro­ble­me ver­ant­wort­lich. „Mach’ Kro­ko­bur­gers draus!“, schrie ein di­cker Kerl, als er ver­är­gert los­mar­schier­te.

Tat­säch­lich sah es über­haupt nicht gut aus für das rie­si­ge Biest, das ei­ni­ge Näch­te zu­vor bei mir ein­ge­zo­gen war. Was soll­te man jetzt mit ihm ma­chen? Bald wuss­te ich es, denn am näch­sten Tag er­schien bei mir ein Mann vom Tier­schutz­ver­ein, um mich zu spre­chen. Er be­rich­te­te, dass das un­ge­zo­ge­ne Kro­ko­dil­chen im Schwimm­bad des Ge­fäng­nis­ses an ei­nen Pos­ten ge­ket­tet wor­den war und dass die ar­men Häft­li­nge da­rü­ber sehr böse wa­ren, weil sie des­halb auf ihr täg­li­ches Schwim­men ver­zich­ten muss­ten. Noch schlim­mer war es, dass am Sams­tag das jähr­li­che Schwimm­fest statt­fin­den soll­te und nun ab­ge­sagt wer­den muss­te. Knud­del war wohl das meist ge­hass­te We­sen Deutsch­lands, doch ich ging ihn trotz­dem be­su­chen. Der Ar­me wein­te an­dau­ernd und die Po­li­zei sag­te mir, dass sei­ne Ge­richts­ver­hand­lung in drei Wo­chen statt­fin­den soll. Herr Katz, der Mann vom Tier­schutz­ver­ein, war der ein­zi­ge Mensch, der da­mit rech­ne­te, dass die La­ge für Knud­del nicht ganz schlimm so wie all­ge­mein an­ge­nom­men. Man wür­de schon se­hen, so seiwie die Ge­richts­ver­hand­lung an­fän­ge. Und an­fangen wür­de sie bald.

An ei­nem nass­kal­ten Mon­tag­mor­gen war der Ge­richts­saal ge­füllt mit Leu­ten, die da­rauf war­te­ten, zu­zu­se­hen, wie ein schreck­li­ches Un­ge­heu­er sei­ne ver­dien­te Stra­fe er­hält. Als der Ei­gen­tü­mer die­ses Un­ge­heu­ers hat­te ich zum Glück ei­nen re­ser­vier­ten Platz im Saal. Als ich an­kam, tra­fen der Ver­tre­ter vom Tier­schutz­ver­ein und ein Herr mit ei­nem lan­gen Bart ein. „Ich wer­de die Ver­tei­di­gung ü­ber­neh­men“, er­klär­te Herr Katz, der Mann vom Tier­schutz­ver­ein, „Und die­ses ist der be­rühm­te Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li aus Zü­rich. Ma­chen Sie sich kei­ne Sor­gen! Wir wer­den da­für sor­gen, dass die­ses ar­me, harm­lo­se We­sen frei­ge­spro­chen wird.“ Harm­lo­ses We­sen? Wirk­lich?

Die bei­den gin­gen wei­ter nach vorn im Ge­richts­saal. Und ich? Ich setz­te mich auf mei­nen Platz und woll­te es mir ge­ra­de be­quem ma­chen, als der Ge­richts­die­ner brüll­te: „Al­le auf­ste­hen!“ Ich kann dir sa­gen, wir spran­gen schnell auf, denn wir woll­ten nicht we­gen Sit­zen­blei­bens ein­ge­sperrt wer­den.

Rich­ter Hafft, der der här­tes­te Rich­ter Deutsch­lands sein soll­te, be­trat den Ge­richts­saal. Dann saß er auf sei­nem thron­ar­ti­gen Stuhl und blick­te fins­ter auf uns he­rab. „Al­le hin­set­zen!“, brüll­te der Ge­richts­diener, und wir setz­ten uns al­le schnell wie­der, nur für den Fall, dass der letz­te noch Ste­hen­de ver­haf­tet wer­den soll­te. Rich­ter Hafft schob sei­ne Bril­le auf die Na­sen­spit­ze, setz­te sei­nen Rich­ter­hut ge­ra­de, blick­te noch­mals als Zu­ga­be fins­ter in die Run­de, hus­te­te ei­ni­ge Ma­le und be­fahl: „Brin­gen Sie den Häft­ling!“ Ach, mein ar­mer Knud­del! Ein Po­li­zist schlepp­te ihn am En­de ei­ner lan­gen Stahl­ket­te her­ein, stell­te ihn vor die An­kla­ge­bank und be­fes­tig­te die Ket­te an den Stä­ben. Zwei wei­te­re Po­li­zis­ten mit Ge­weh­ren stan­den da­ne­ben, falls Knud­del flüch­ten woll­te. So stand das ar­me Biest vor der An­kla­ge­bank, wein­te wah­re Kro­ko­dils­trä­nen und tat sich sel­ber sehr leid … Der Rich­ter schlug mit sei­nem Holz­ham­mer laut auf den Tisch:

KNALL!

„Ge­ben wir die­sem gräss­li­chen Ü­bel­tä­ter eine ge­rech­te Ver­hand­lung, und ste­cken wir ihn für im­mer ins Ge­fäng­nis!“, lä­chel­te er grim­mig. „Sehr rich­tig, Eu­er Eh­ren“, sag­te In­spek­tor Sperr­linck, der­sel­be Po­li­zist, der die Ver­haf­tung durch­ge­führt hat­te. „Wir wer­den die­sen Fall schnell ent­schei­den und ich füh­re die An­kla­ge … Ru­fen Sie den ers­ten Zeu­gen he­rein!“ Der Gerichts­die­ner brüll­te nach Jo­a­chim Ham­mel, und in den Ge­richts­saal trat ein klei­ner Mann in ei­ner na­gel­neu­en Ge­mein­de­amts­u­ni­form. Auf­ge­for­dert von In­spek­tor Sperr­linck gab er sich als der be­trof­fene Bus­fah­rer aus. „Das war wirk­lich ’ne fuich­bare Sa­che, sach ich Sie, Ih­re Eh­re. Die­se Kre­a­tur hier steicht in mein Bus ein. Ich frach, wo­hin, un wie der Blitz springt das Viech mich an un fängt an, mich auf­zu­fres­sen. Oh­ne die füm­zig Fahr­gäs­te, die mich zur Ret­tung ge­komm sind, wär’ ich ’n rich­ti­ges Ham­mel­fleisch­es­sen ge­wor­den. Das kann ich Sie wohl sa­gen.“

Al­le An­we­sen­den fin­gen an zu la­chen, doch der Rich­ter schlug mit sei­nen Holz­ham­mer auf den Tisch und brüll­te: „Ru­he im Ge­richt oder es wer­den al­le ein­ge­sperrt!“ So­fort war es still. In­spek­tor Sperr­linck stand auf und sag­te: „Dan­ke, Herr Ham­mel. Sie kön­nen jetzt ge­hen.“ „Nein, das kann er nicht!“, rief Herr Katz, der Mann vom Tier­schutz­ver­ein. „Ich ver­tei­dige die­ses ar­me, un­schul­di­ge We­sen und es muss noch ei­ni­ges er­klärt wer­den.“ Rich­ter Hafft sah ziem­lich miss­mu­tig aus, „Na ja, dann ve­rtei­di­gen Sie das Biest lie­ber, ehe ich es ins Ge­fäng­nis ste­cke. Be­ei­len Sie sich! Wir ha­ben ja nicht den gan­zen Tag da­für zur Ver­fü­gung.“ Herr Katz ver­beug­te sich vor dem Rich­ter, „Eu­er Eh­ren, ich for­de­re Herrn Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Jean-Claude Pfnüs­li aus Zü­rich, ei­nen Af­ri­ka-Ex­per­ten, auf, den Fah­rer zu be­fra­gen.“ Der Pro­fes­sor er­hob sich und sprach: „Da­men und Her­ren … erst ei­ne klei­ne Ver­an­schau­li­chung.“ In­dem er sich Knud­del zu­wand­te, sag­te er: „Woo woyn schii da?“ Knud­del rich­te­te sich so­fort ker­zen­ge­ra­de auf, leg­te den rech­ten Vor­der­fuß quer über die Brust und fiel auf den Bo­den, Bei­ne hoch, Au­gen zu.

„Oje! Es ist tot!“, rie­fen al­le. „Schwei­gen im Ge­richt oder …!“, schrie Rich­ter Hafft dro­hend und knall­te mit sei­nem Holz­ham­mer los. „Woo woyn dschung?“, er­klang die Stim­me des Pro­fes­sors und Knuddel stand er­neut auf­recht vor der An­kla­ge­bank. „Jetzt pas­sen Sie bit­te al­le ein­mal ge­nau auf! … Woo woyn pup?“ Pfnüs­li fing an, ei­ne süd­län­di­sche Me­lo­die zu pfei­fen. Das Kro­ko­dil leg­te ei­ne Pfo­te auf die Hüf­te, hielt die an­de­re in die Luft und be­gann, ei­nen wil­den Fla­men­co zu tan­zen. „Bei der ent­spre­chen­den Mu­sik wür­de er auch Bal­lett tan­zen“, lach­te Pfnüs­li. Das Kro­ko­dil hör­te auf zu tan­zen und so­gar In­spek­tor Sperr­linck schloss sich nun den all­ge­mei­nen Bei­falls­ru­fen und dem Hän­de­klat­schen an …

‘KNALL-KNALL-KNALL’ klang der Ham­mer des Rich­ters … „Ru­he in die­sem Ge­richt! Sie sind al­le ver­haf­tet. Ge­richts­die­ner, ru­fen Sie so­fort die Po­li­zei!“ „Ei­nen Mo­ment, bitte, Herr Rich­ter“, sag­te Pfnüs­li, „Ich will ja al­les er­klä­ren. Hat ei­ner von Ih­nen je­mals zu­vor ein Kro­ko­dil wie die­ses in Deutsch­land ge­se­hen? Nein? Das kommt da­her, dass es aus Ka­bom­ba­land mit­ten in Af­ri­ka stammt. Es ist zwei­fel­los ein ech­tes Ka­bom­ba­ni­sches Grü­nes.“ Der Pro­fes­sor er­zähl­te uns dann ei­ne er­staun­li­che Ge­schich­te … An­geb­lich be­steht der Ka­bom­ba-Stamm aus Schaf­hir­ten. Gras wur­de in ih­rem ei­ge­nen ur­sprüng­li­chen Land zu knapp und so ka­men sie, ih­re Scha­fe und ih­re Schä­fer­hun­de in ein neu­es Land, in dem durch Flüs­se und Seen das mas­sen­haft wach­sen­de Gras grün ge­hal­ten wur­de. Die Schwie­rig­keit ist, dass dort, wo es in Af­ri­ka Was­ser gibt, auch Kro­ko­di­le le­ben. Den Be­woh­nern in die­sem Land war be­kannt, dass die­se sehr ger­ne Hun­de­fleisch mö­gen. (Scha­fe konn­ten sie nicht aus­ste­hen, weil de­ren Wol­le ih­nen im­mer zwi­schen den Zäh­nen hän­gen blieb.) Ka­bom­ba­ni­sche Stam­mes­äl­tes­te zer­bra­chen sich die Köp­fe da­rü­ber, was sie zum Scha­fe­hü­ten neh­men konn­ten, wenn al­le Hun­de ver­schwun­den wä­ren, bis end­lich je­mand sag­te: „Wa­rum dres­sie­ren wir denn nicht die Kro­ko­di­le?“

Und das ta­ten sie dann auch. Im Lau­fe vie­ler Jah­re brach­ten sie den Bies­tern bei, im­mer mensch­li­chen Be­fehl­en zu fol­gen. Und ir­gend­wann be­sa­ßen sie Schä­fer­kro­kos, die viel bes­ser wa­ren als Hü­te­hun­de. Sie brach­ten ih­nen wei­te­re Fer­tig­kei­ten bei, bis zwei oder meh­re­re Kro­ko­di­le zum Bei­spiel ein Ka­nu an­schie­ben konn­ten, um sei­ne Fahrt auf dem Fluss zu be­schleu­ni­gen. Auf dem Land sa­ßen Men­schen auf den Rü­cken der Kro­ko­di­le und wur­den auf die­se Wei­se schnell von ei­nem Ort zum an­de­ren be­för­dert, oh­ne Ben­zin zu ver­brau­chen. Die Men­schen brach­ten den Kro­ko­di­len so­gar bei, zu tan­zen, Ge­trei­de zu ern­ten und ver­an­stal­te­ten sams­tags so­gar Wett­ren­nen mit ih­nen. Die Kro­ko­di­le lieb­ten mensch­li­che Ge­sell­schaft und je­der Ka­bom­ba­ner hielt meh­re­re von ih­nen im Haus und im Gar­ten. Men­schen und Kro­kos wa­ren glück­lich mit­ein­an­der. So­mit ist das Le­ben in Ka­bom­ba­land ein­fach wun­der­bar, es sei denn, man ist zu­fäl­li­ger­wei­se ein Hund.

„Da haben Sie also meine Er­klä­rung“, sagte Herr Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li ei­ne Wei­le spä­ter. „Nun, Sie, Herr Bus­fah­rer Ham­mel, kön­nen Sie sich da­ran er­in­nern, was Sie zu die­sem Tier­li sag­ten, als es in Ih­ren Bus stieg?“ Herr Ham­mel stand auf, „Kein Pro­blem, Kum­pel. Ge­nau das, was ich zu al­le sach, wenn sie ein­stei­gen: ‘Wo woin Sie ’n hin?’“ Der Rich­ter schlug mit sei­nem Holz­ham­mer, „Jetzt ist al­les klar. Schau-Kro­ko­dil aus Af­ri­ka? Gut und schön. Aber die­ses Ding ist schul­dig … Fünf­zig Jah­re!“ Pfnüs­li sag­te: „Er­ge­benst, Eu­er Eh­ren, aber die Ge­schwo­re­nen müs­sen noch ihr Ur­teil ab­ge­ben und ich muss noch mei­ne Be­weis­füh­rung be­en­den. Wenn Sie es nicht er­lau­ben, dass wir un­se­re Auf­ga­ben er­fül­len, las­sen wir Sie we­gen Miss­ach­tung des Ge­richts ver­haf­ten.“

Bei diesen Worten wurde Richter Hafft knall­rot im Ge­sicht und mur­mel­te etwas wie „Schlib­bel, schlab­bel, schlub­bel … ’Schul­li­gung. Fah­ren wir al­so fort mit der Ver­hand­lung, aber … be­ei­len Sie sich! Es ist bei­na­he Mit­tags­zeit.“ Er war der­ma­ßen be­stürzt, dass er nicht ein­mal mit sei­nen Holz­ham­mer schlug. Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li lä­chel­te Herrn Ham­mel an, „Mein Freund, bit­te er­lau­ben Sie, dass ich Ih­nen ei­ne Lek­tion in der ka­bom­ba­ni­schen Spra­che er­tei­le. Sie er­in­nern sich si­cher, dass ich je­des Mal, wenn ich dem Kro­ko­dil ei­nen Be­fehl er­teil­te, sagte, ‘Woo woyn …’, und das be­deu­tet ‘Ent­schul­di­gen Sie bit­te …’. Nun also … ‘siin’ be­deu­tet ‘fres­sen’ und ‘hinn’ be­deu­tet ‘mich’. Das er­klärt, was ge­sche­hen ist. Be­den­ken Sie bit­te, dass die­ses ar­me Kro­ko­dil zum ers­ten Mal ei­nen Bus sah, be­gie­rig war, mehr da­rü­ber zu er­fah­ren und ein­stieg. Sie als der höchst aus­ge­bil­de­te Fah­rer, der Sie sind, stell­ten Ih­re üb­li­che Fra­ge: ‘Wo woin Sie ’n hin?’ Lei­der klang das, was Sie sag­ten, wie ka­bom­ba­nisch für ‘Ent­schul­di­gung. Friss mich bit­te’. Die­ses Tier­li hier, das dres­siert wur­de, al­len mensch­li­chen Be­feh­len zu fol­gen und das kein Deutsch ver­ste­hen kann, muss­te wohl oder ü­bel tun, was Sie be­fah­len.“ Herr Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li wand­te sich an die Ge­schwo­re­nen: „Mei­ne Da­men und Her­ren, mei­ne Be­wei­se zei­gen Ih­nen deut­lich, dass die­ses ar­me Tier­li je­der­lei Ver­bre­chens gänz­lich un­schul­dig ist. Kei­ne wei­teren Fra­gen.“ So­fort stan­den al­le Ge­schwo­re­nen auf und rie­fen: „Nicht schul­dig.“ Rich­ter Hafft schlug mit sei­nen Holz­ham­mer und rief: „Gut! Jetzt kann ich das Ur­teil fäl­len: 75 Jah­re!“ „Das kön­nen Sie doch nicht, Sie al­ber­ner, al­ter Mann“, lach­te Herr Katz, der Mann vom Tier­schutz­ver­ein. „Die­ses Kro­ko­dil darf nach Hau­se. Also zie­hen Sie Lei­ne!“

So kam es, dass ich Knud­del das Kro­ko­dil mit ei­nem ge­mie­te­ten Last­wa­gen nach Hause brach­te. Er wur­de von Li­sa Ma­rie und den zwei Kat­zen be­grüßt und bald da­rauf ge­sell­ten sich Herr Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li und Herr Katz dazu. Wir hat­ten ei­ne ganz wun­der­ba­re Fei­er, die sich bis spät in die Nacht hin­zog. Knud­del tanz­te Tän­ze aus al­ler Welt. Herr Pro­fes­sor Dok­tor Dok­tor Pfnüs­li sang schwei­ze­ri­sche Jod­ler. Zum Schluss wa­ren wir al­le sehr mü­de, a­ber auch sehr froh.

Ich ver­die­ne jetzt eine Men­ge Geld, weil Knud­del für mich im Fern­se­hen auf­tritt. Ich brau­che auch viel Geld, weil er un­heim­lich viel frisst. Er hat ei­nen Fern­seh-Fan­club mit In­spek­tor Sperr­linck als Vor­sit­zen­den und fährt im­mer kos­ten­los im Bus von Herrn Ham­mel. So hat­te al­les ein gu­tes En­de ge­nom­men, aber ein Rät­sel bleibt trotz­dem un­ge­löst … Wo­her ist Knud­del ge­kom­men? Wahr­schein­lich ler­nen wir die Wahr­heit nie­mals ken­nen, aber je­mand be­rich­tete mir, dass ein­mal ein kam­bom­ba­ni­scher Stu­dent in Fin­tel wohn­te. Viel­leicht war Knud­del von ihm weg­ge­lau­fen, und der Jun­ge reis­te oh­ne ihn ab, als er kurz­fris­tig in die Hei­mat ge­ru­fen wur­de, um Prä­si­dent zu wer­den. Wer weiß?

UNSERE WELT IST VOLL VON RÄTSELN.

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